Erinnerungen
Es ist ein Freitagabend im November 2015. 16 Männer sitzen in einem 9 Meter Tipi am Feuer. Der heilige Rauch von Beifuß, Lavendel und Zeder steigt aus einer Räucherschale auf. Mit der Schwinge eines Raben, es ist zu erkennen, an wie vielen Zusammenkünften sie Großvater Luft in den Kreis gebracht hat, wird Wind in die Glut gefächert und der Rauch verteilt.
Seelenverwandte
Die meisten Männer haben eine Rahmentrommel dabei und gemeinsam werden Mantren und Heilungslieder gesungen. „Erde meine Mutter Himmel mein Vater“ oder „Meine Füße fest auf Mutter Erde“ und ein paar andere Heilgesänge, zum Teil nordamerikanischen oder brasilianischen Ursprungs.
Die hälfte der Männer kennen sich tatsächlich (aus diesem Leben) und insgesamt haben alle das Gefühl, gute Bekannte oder gar Brüder wieder zu treffen, um mit ihnen an den heiligen Feuern zu beten und zu tanzen.
Der Sprechstab kreist, es ist ein gegabelter Stock, er bildet ein V, was eines der ältesten Zeichen für die Göttin darstellt. Die Göttin ist in diesem Männerkreis sehr präsent und einmal mehr zeigt es sich, dass wenn Männer in einem Kreis, einer weiblichen Form sitzen, auf diese Weise Balance entsteht.
Es wird geteilt, aus welchen Beweggründen die Männer aufs Land gekommen sind. Schon in der ersten Runde sprechen die Teilnehmer sehr ehrlich und wahrhaftig und spätestens jetzt ist sicher, dass sich diese beherzte Männerrunde aus verwandten Seelen zusammengefunden hat.
Auch diesmal ist es auf mystische Weise gewiss: wir sitzen nicht zum ersten mal gemeinsam am Feuer.
Absicht
Jedem schamanischen Ritual liegt eine Absicht zu Grunde, die natürlich zu Beginn bekannt gegeben werden muss. All die Kräfte, welche zum guten Gelingen eines Rituals zusammengerufen werden müssen wissen, was wir brauchen, um was es uns geht und wo wir nach Heilung suchen. Desgleichen ist es wichtig kundzutun, was Mann bereit ist zu geben, was Mann mitgebracht hat und was der Einsatz eines jeden ist. Die Absichten werden im Laufe der Zusammenkunft noch klarer und das Dunkel in manch einer Frage oder Unsicherheit erhellt sich mit jedem kleinen Ritual im großen Ritual.
Um den so genannten Alltag hinter sich zu lassen und ganz im Ritual anzukommen gehen wir wie immer zuerst in den Schoß von Mutter Erde.
Das Lied des Regenbogens
Ring of Fire ist eine Männerzusammenkunft, zu der keine gänzlich schamanisch unerfahrenen Teilnehmer kommen können. Die Männer kennen die Schwitzhütte und den Leiter des Rituals und so ist es eine große Freude, sich nicht mit der Erklärung grundlegender Regeln und Herangehensweisen beschäftigen zu müssen. Der Aufbau der Schwitzhütte und des Feuers läuft wie aus einer Hand und noch bevor wir in die Hütte krabbeln öffnen sich schon langsam die Türen in die anderen Wirklichkeiten, Dimensionen und Realitäten.
Zu dieser Jahreszeit sind die Schleier zwischen den Welten natürlicherweise dünn und die Verbindung zu den Ahnen ist stark und spürbar.
Die tief rot glühenden Steine aus dem Feuer, Symbol für die Funken und Samenkraft die Großvater Sonne zu Mutter Erde sendet, befruchten den heiligen Raum.
Zuerst lauschen wir in die Stille hinein, hören vielleicht noch die letzten Stimmen aus dem so genannten Alltag und nehmen die Wärme der heißen Steine danken an.
Mit dem ersten Wasseraufguss erfüllt sich der Raum mit dem heiligen Dampf. Feuer und Wasser küssen sich, so wie wenn Großvater Sonne sein Licht in den feinen Regen hinein schickt und der Regenbogen erscheint. In der Hütte wird der Regenbogen mit dem Dampf spürbar und wir hören ergriffen und vielleicht auch noch etwas ängstlich dem Gesang des Regenbogens zu.
Einer für Alle
Die Männer bilden ein Medizinrad, jeder vertritt einen besonderen Aspekt, bringt sowohl seine Kraft in den Kreis wie auch seine ganz spezielle Suche nach Heilung. So ist es auch „normal“ dass ein Schwitzhüttenritual von jedem anders empfunden wird, denn jedes Sein oder jedes Thema findet seine eigene Resonanz im Schoß der Mutter.
Die Ahnenenergie nimmt dieses Mal den ganzen Raum in Anspruch und ein Mann geht für uns alle in einen tiefen Heilungsprozess. Alle halten für ihn den Raum und wir werden mit unserer Vergangenheit konfrontiert, dem Leben und Wirken unserer Vorfahren und somit natürlich auch mit dem dritten Reich. Wenn es bisher eine Theorie war, dass unser Handeln eine Auswirkung auf die nächsten sieben Generationen hat, so wurde dieses Prinzip in der Hütte spürbar und sehr deutlich. Wir haben mit den Auswirkungen der sieben Generationen vor uns zu tun, ob es uns gefällt oder nicht.
Die Absicht wird klarer
Nach diesem Schwitzhüttenritual ist das Thema Ahnen, unsere Vergangenheit und die Nazis sehr präsent und wir erkennen das Privileg einen Raum zu haben, innerhalb dessen wir heilvoll damit umgehen können.
Was ist „Mann-Sein“ und was ist denn nun in dieser neuen Zeit die Aufgabe der Männer und wo ist unser Platz, was gilt es zu tun und zu lassen?
Langsam steigt eine tiefe Gewissheit in uns allen auf. Wir wissen nicht ganz genau, was unser Tun in diesem Ritual bewirkt, aber wir sind uns sehr sicher, dass wir genau das tun, was für uns und diese Zeit und diesen Moment angemessen und richtig ist.
Wir stellen uns der Symbolkraft der Rituale unserer Vorfahren, wir bleiben nicht bei den Nazis hängen und machen auch nicht bei den Kelten und Germanen halt. Wir werden uns immer bewusster, dass Zukunft und Vergangenheit, zumindest in diesem Ritual im Hier und Jetzt verschmelzen und dass unser Sein und Handeln Einfluss in beide Richtungen nimmt. Wir verabschieden unser Opferdasein und jedwede Schuldzuweisung und werden Teil der Lösung.
Dieser Spaß ist uns sehr ernst
Bei den Vorbereitungen für den großen Feuertanz haben wir vor allem mit Holzmachen zu tun. Mit Motorsäge und den teilweise extra für diesen Zweck angeschafften „Spezialwerkzeugen“ wie Macheten, formschönen Holzäxten, unzerstörbaren Plastikbeilen und Handsägen ziehen wir in den Wald.
Wir umarmen die Bäume, bitten um das Geschenk aus der Pflanzenwelt und darum, dass alle gesund bleiben. Ob Naturbursche oder Bürohengst, die meisten Männer haben Spaß an dieser Arbeit und so verbringen wir die meiste Zeit vom Samstag damit mehr wie genug Feuerholz heranzuschaffen und die heiligen Feuer vorzubereiten.
Je näher die Dunkelheit heranrückt desto konzentrierter, stiller und fokussierter wird an den Feuern gebaut. Die letzten Handgriffe werden getan, als es schon stock dunkel ist und das Szenario am alten Keltenplatz der modernster LED-Stirnlampentechnik erhellt wird, ist sehr speziell. Von weitem sieht es so aus, als tanzten schon jetzt die Lichtwesen mit uns.
Heilvolle Symbole
Wir versammeln uns wieder im Tipi zu den letzten Sprechstabrunden. Noch einmal geh es um die Absicht und nun ist jeder Mann so weit, dass er kurz und bündig zum Ausdruck bringen kann wofür er diesen Tanz an den heiligen Feuern widmet.
In einem tiefen Ritual zeigt es sich, dass wir unsere traditionellen Symbole der Körperbemalung an diesem Abend mit einer Rune erweitern. Wir sind nun bereit die Kraft der alten Symbole zu nehmen, sie zu heilen und unsere besten Absichten hinein zu geben.
Wir ziehen eine Rune, die mit dem Begriff Hoffnung assoziiert wird. Das Wort Hoffnung schlägt augenblicklich in unsere Herzen ein und wir sind einen weiten Moment lang sehr tief berührt.
Erde, welche uns von Maulwürfen und Wühlmäusen ans Tageslicht geschafft wurde wird mit Wasser vermischt und mit diesem Schlamm bemalen wir uns gegenseitig im Gebet. Am Ende stehe 16 Mann nackt mit Erde bemalt, den Kraftstab in der einen Hand und in der Anderen eine Fackel, am Feuer. Dieser archaische Anblick versetzt uns in eine feierliche und lustvolle Stimmung. Wir haben nun wirklich Bock zu tanzen und bevor wir dann den Weg zum alten Keltenplatz antreten, singen wir zusammen wie Donnergroll:
Meine Füße fest auf Mutter Erde, segnen sie mit jedem Schritt. Meine Liebe für ihren Herzschlag und mein eigenes Herz schlägt mit.
Der Lindwurm
Schweigend verlassen wir die Geborgenheit des Tipis und treten in die kühle Nacht hinaus. Und noch einmal ergreift uns eine feierlich archaische Stimmung. Der Lindwurm bestehend aus 16 nackten Männern mit Kraftstäben und Fackeln in Händen. Wir passieren den Ahnenplatz, verneigen uns kurz um dann den vorbereiteten Feuertanz-Ritualplatz auf respektvolle Weise zu betreten.
Die Feuerkinder verteilen sich auf die vorbereiteten Holzhaufen und entfachen nun 9 sehr große Feuer.
Der Tanz
Der Tanz beginnt und wir benutzen keine bekannten Wörter mehr. Die Sprache reduziert sich auf Laute, die sich im Laufe des Tanzen wieder zur ureigenen Sprachen aus der Tiefe unserer Erinnerung heraus entwickeln und die Luft zum vibrieren bringen. Unser rationaler Verstand verabschiedet sich mehr oder weniger und wir genießen es, impulsgesteuert und frei zwischen den Feuern zu tanzen, zu brüllen, zu weinen, zu lachen, …
Im Laufe des Tanzes durchfluten uns die unterschiedlichsten Emotionen. Liebe, Freude, Wut und Aggression wechseln sich ab mit sexuellen Empfindungen, Geborgenheit, Machtgefühlen und Verzweiflung. Es ist nicht möglich das besser zu beschreiben und vor allem ist es auch nicht nötig.
Durch die intensive Vorbereitung und das kontinuierliche schärfen der Absicht kann sich jeder (mehr oder weniger) frei von Erwartung und einem etwaigen Ergebnis einfach dem Ritual hingeben.
Der Funkenflug verbindet sich mit dem Sternenhimmel, all die gesprochenen Gebete befreien sich aus den Feuern ins Universum hinaus und werden mit Gebrüll begleitet.
Die heruntergebrannten Feuer zeigen uns, dass es nun Zeit wird den Tanzplatz den Ahnen zu überlassen.
Freude schöner Götterfunken
Sonntagmorgen, ein deftiges Frühstück unter Kriegern. Wir haben einen Feuertanz Kater, fühlen uns richtig gut durchgewalkt und gleichzeitig voll im Saft. Die Augen leuchten, bei einigen sind noch Schlammspuren und Ruß im Gesicht, andere zeigen stolz kleine Brandblasen oder einen noch ziemlich roten Bauch.
Unsere Kraftstäbe sind geschwärzt und manche von ihnen sind im Feuer zu Licht aufgegangen.
Wir sind zufrieden und so wie wir Bock auf den Tanz hatten, verlassen wir das Ritual in Dankbarkeit und ebenfalls mit voll Bock auf das Leben, die Frauen, die Kinder, …
und darauf, dieser Welt ein Beitrag zu sein.
Erfüllte Grüße
Jack Silver
Regenbogenherz-Kolibri