Übergangsrituale, ein Leben lang

Das Wort „Ritual“ erlangt immer mehr Bedeutung. In allen möglichen Bereichen unseres Lebens taucht der Begriff auf.

Ritual oder Zeremonie

Das spirituelle Ritual ist keinesfalls mit einem „Alltagsritual“ (Zähne putzen, Kaffe trinken, Duschen, etc. …) zu verwechseln, es kann auch Zeremonie genannt werden. 
Zeremonie und Ritual sind zwei Begriffe, die in verschiedenen Traditionen weltweit unterschiedlich verwendet werden.
Bei den einen ist das Ritual so etwas wie ein katholischer Gottesdienst, der immer gleich abgehalten wird, mit den selben Gebeten und dem selben Rahmen. Die Zeremonie ist dort etwas Individuelleres, was immer wieder von neuem gestaltet wird, dem Zeitgeist entspringt; sie ist nah an den Themen der Menschen und nie die Selbe. Und bei den anderen, … ist es genau umgekehrt!

Wir machen Rituale

Damit meinen wir die individuelle und spirituelle Herangehensweise an ein Thema unter der Zuhilfenahme aller uns wohlgesonnener Kräfte des Universums.
 Doch auch im Ritual werden bestimmte funktionierende Elemente immer wieder verwendet, die jedoch ganz speziell mit der aktuellen Absicht des Rituals „aufgeladen“ werden. So ist kein Ritual wie das andere, auch wenn sie sich auf den ersten Blick äußerlich ähneln.

Wo finden wir die Übergänge des Lebens

Übergangsrituale haben immer drei große Bestandteile, die je nach Alter und Thema unterschiedlich aussehen. Dazu gleich mehr. Eine Geburt beispielsweise beinhaltet andere Faktoren wie das Erwachsenwerden, eine Taufe oder die Eheschließung. Ja es stimmt, auch die Eheschließung ist ein Übergangsritual genau so wie der Wechsel vom Kindergarten zur Schule, von dort zum Studium oder in einen Beruf, ein Wohnungswechsel, …

Es gibt Übergänge, die jeder Mensch zu durchwandern hat so wie die Geburt, das Erwachsenwerden und der Tod, und andere, die ganz individuell und abhängig von den Lebensumständen der einzelnen Menschen sind. Dazu gehören schulische und berufliche Werdegänge, politische Umstände, familiäre und ortsbedingte Zusammenhänge. Wir sehen nun, dass das ganze Leben aus unzähligen Übergängen besteht und bekommen eine Ahnung, wie unbewusst diese in aller Regel begangen werden.

Übergangsrituale in der zivilisierten Welt

In unserer westlichen Welt haben in den letzten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten Übergangsrituale ihre Bedeutung verloren. Wenn überhaupt Initiationen durchgeführt wurden, so wurden sie religiös oder politisch gefärbt bzw. missbraucht.  Es sind natürlich noch Überbleibsel aus alten Zeiten erkennbar, von einem individuellen Übergangsritual kann allerdings nicht die Rede sein. Vor allem junge Menschen stehen vollkommen alleine und ohne „Leitung“ und Begleitung mitten in ihrer Krise und kreieren sich ihre Initiationen selbst. Das Komasaufen sei an dieser Stelle nur stellvertretend genant. Ihre spirituelle Suche läuft ins Leere und schlimmstenfalls zu religiösen Sekten oder Fanatikern.

Genau so hilflos sind Erwachsene in mittleren Jahren. Ihre Probleme werden, wie auch oft bei jungen Menschen, mit Medikamenten weggedrückt und nicht als Übergangskrise anerkannt. Das nimmt jedem Menschen die Chance, aus einer Krise bestärkt hervor zu gehen.

Unsere Herangehensweise

Je nachdem, wie groß oder einschneidend ein Übergang ist, braucht es auch mehr oder weniger Raum und Zeit, um damit kraftvoll und heilsam umzugehen. Es macht einen Unterschied, ob beispielsweise der Schulwechsel im selben Ort oder Stadtteil stattfindet, oder ob er mit einem Umzug verbunden ist, die alten Spielkameraden aus dem Leben verschwinden und neue Freunde gefunden werden müssen. 
Es ist also festzustellen, dass es kein Übergangsritual von der Stange gibt und die Situation in jedem Fall sorgfältig betrachtet werden sollte.

Natürlich beschäftigen sich junge Männer oder Frauen in der Pubertät mit sehr ähnlichen Themen. Auch gleicht sich bei den betroffenen Menschen der Stoff, aus dem die Wechseljahre sind, oder zeigen sich Parallelen der Probleme in der Midlife Crisis.

Dennoch kann es sein, dass das Übergangsritual zweier gleichaltriger Männer nicht genau gleich aussieht, denn sie haben ein anderes Leben gelebt, stehen an einem anderen Punkt in ihrem Leben und haben eine andere Zukunft vor sich. Sie sind mit unterschiedlichen Gaben gesegnet und haben andere Schwächen etc. Der Grad dieser Bewusstheit macht bei jedem Übergang einen sehr großen Unterschied.

Bestandteile eines Übergangsrituals

Ein Übergang beinhaltet drei Phasen.

  • Das was war: die Vergangenheit, das was losgelassen werden möchte.
  • Das was jetzt ist: noch nicht im Neuen angekommen und das Alte noch nicht verlassen.
  • Das was kommt: das Neue, die Zukunft, der Weg, der vor einem liegt.

Jeden dieser Bestandteile gilt es angemessen zu würdigen und seinen Platz zuzuweisen.

Das was jetzt ist, die „Krise“

Im Zentrum des Überganges steht fast immer eine Krise. Wir befinden uns zwischen den Mühlsteinen der Vergangenheit und der Zukunft und sind oft regelrecht zerrissen. Die Pubertät ist eines der der deutlichsten Beispiele dafür. Manchmal noch ganz Kind, den Schutz der Familie genießend, die Geborgenheit der Mutter suchend, verspielt und frei. Und dann fühle ich mich ganz plötzlich den Großen zugehörig, habe eine eigene Meinung, bin sexuell erregt und möchte alles anders machen und haben. Das ist wahrlich eine der größten Krisen unseres Lebens.

Und sie wiederholt sich auf ähnliche Weise in der zweiten Pubertät, den Wechseljahren, in der Midlife Crisis, wo es uns ähnlich geht, nur sind wir halt ein paar Jahre älter. Bis dahin meinten wir zu wissen, wie das Leben ist, haben uns eingenordet und was erreicht. Dann kommen die Zweifel am Job, an der Beziehung, an der Lebensweise. Sexuell läuft es vollkommen anders oder gar nicht mehr und alle, die es zulassen, stellen sich erneut die Frage nach dem Sinn des Lebens. Diesen Zustand anzuerkennen ist die erste Handlung. Es bedeutet, dass man sich dem ganz hingibt und es voll annimmt. Es ist eben der Status Quo und man ist oft in einem tiefen Drama gefangen und leidet fürchterlich.

Das was war

Wir blicken zurück, geben uns den Raum und nehmen uns Zeit, die Vergangenheit oder die „alte“ Lebenssituation zu betrachten. Es ist von größter Wichtigkeit, das ganze Paket in Augenschein zu nehmen und alles, was uns dabei begegnet Ernst zu nehmen. Wir bedanken uns bei allen Ereignissen, Menschen, Emotionen und Zuständen, die großartig und freudig waren. Wir sammeln das Gold dieser Zeit ein und nehmen das freudige und dankbare Gefühl in uns auf. Auch alles was uns gar nicht in den Kram passte, alle Verletzungen, die uns zugefügt wurden, und jene, die wir anderen zugefügt haben, alle Peinlichkeiten und Fehltritte, alle Schmerzen. Wir nehmen uns alle Menschen vor, die uns in den Sinn kommen, alle Situationen und Begebenheiten, die wir der dunklen Seite unseres Lebens zuordnen.

Es gilt mit sich und den anderen Friede zu schließen und zu verzeihen. Auf welche Art und Weise das auch immer getan wird, es ist ein essentieller Bestandteil des Übergangsrituals und verhilft der Vergangenheit ihren Platz einzunehmen, nämlich hinter einem.

Das was kommt

In manchen Fällen weiß man schon in etwa, was kommt. Am Beispiel des Schulwechsels ist es klar, welche Schule es sein wird, vielleicht auch schon welche Klasse und welcher Lehrer. Wir kennen den Schulweg und evtl. sogar schon ein paar Mitschüler. Doch was das alles mit uns macht wenn es so weit ist, das wissen wir nicht. Es bleibt eine Ungewissheit und meistens die Angst vor dieser Veränderung.

Die Ungewissheit ist auch der Zustand in der ersten und zweiten Pubertät. Die Zweifel an der Zukunft, an dem was kommen mag und wie es sein mag, wenn es anders ist. Wir wissen es nicht. Vor allem als Erwachsene versuchen wir durch Planung und Absicherung den Lebensweg zu ebnen und uns vor ungewollten Veränderungen zu schützen.

Ein Übergang beinhaltet aber immer das Ungewisse, das Neue und Unbekannte.
 So gilt es beherzt und voller Vertrauen den Schritt in das neue Leben zu begehen.
 Auch hier sind individuelle Rituale angesagt, so dass sie zu dem Menschen und seiner Situation passen und ihm die Kraft und Zuversicht ins Neue geben können.

Die Schwelle übertreten

Übergänge sind immer Schwellengänge. Ist es uns möglich, die Schwelle zu benennen und sie rituell zu überschreiten, geschieht etwas in unserem System. Wir nehmen den Übergang in die Hand, übernehmen Verantwortung für uns selbst und sind nicht weiter Opfer unseres Zustandes. 
Oft bilden wir symbolisch eine Schwelle auf dem Weg ins Ritual, legen einen Stock auf die Erde oder ziehen eine Linie quer über den Weg. Wir überschreiten die Schwelle in einen anderen Raum. Er ist die Wirklichkeit des Rituals, in dem dann wiederum der eigentliche Übergang stattfindet.

Unsere schamanischen Rituale

Wir sind nicht alleine, waren es noch nie und werden es auch niemals sein. Wir fühlen uns in einer Situation vielleicht einsam, doch alleine sind wir nie.
 Ein Ritual, das immer unter freiem Himmel stattfindet, beinhaltet bei uns, dass wir die Kräfte anrufen, dass wir die Elemente um Beistand bitten, die Tiere, die Pflanzen, die Minerale und vor allem auch all die Wesen dazwischen. Wir sind nicht alleine und wenn wir reinen Herzens um Hilfe bitten, ist die Anzahl der Helferwesen groß und es scheint so, als würden alle stofflichen und feinstofflichen Wesen dieser Erde nur darauf warten, uns zu unterstützen.

Das Anrufen der Kräfte macht einen sehr großen Unterschied aus. Wenn wir sie um Unterstützung bitten, sagen wir wer wir sind,  um was es uns geht, was unsere Absicht ist und was wir vorhaben. So bringen wir Schwung in den Prozess und die Transformation der Krise kommt in Gang. Ein Ritual verdichtet das Leben, wir können es besser lesen lernen und und in die Hand nehmen.

Der Tod ist unser Freund

Schamanische Rituale, im Besonderen die Schwitzhütten, arbeiten mit dem Prinzip von Leben – Tod – Wiedergeburt. Den Tod zum Verbündeten machen bedeutet hier nichts anderes als die Veränderung willkommen heißen. Loslassen zu können, das Alte sterben zu lassen und Platz zu schaffen für das Neue und Unbekannte.
 Im Besonderen die Veränderungen, in die uns das Leben hineinzieht und die uns unbequem, lästig und anstrengend erscheinen sind es, die mit einem Ritual kraftvoll und bekräftigend begangen werden können. Es sind genau die Zeiten der Krisen, die wir rituell zu Zeiten der Kraft machen können. Die Angst kann dabei eine gute Lehrerin sein, wenn wir sie nicht verdrängen sondern als wegweisende Energie anerkennen.

Bekräftigung in der Gemeinschaft

Innerhalb von Gemeinschaften finden die allermeisten Übergangsrituale einen natürlichen und bekräftigenden Platz. Alle Menschen kennen Krisen, wissen wie schwer Veränderung sein kann, waren einmal in der Pubertät, haben jemanden verloren oder sind durch heftige Übergangsprozesse gegangen. Manchmal ist es der ganze Stamm (heutzutage im Rahmen von Camps oft auch ein Stamm auf Zeit), der einen guten Boden für das Ritual bietet. Hier sind es vor allem die großen Übergänge von Geburt und Tod, erste und zweite Pubertät, Vermählungsrituale, Taufen, Reifeprozesse, die mit Bildung und Beruf zu tun haben, welche im Stamm eine gute Begleitung finden.

Spezielle Frauenriten wie die Feier des ersten Mondblutes, Mutter werden oder die Zeit der Menopause sind natürlich auch im Kreis der Frauen am Besten aufgehoben. Das Gleich gilt natürlich auch für Männer-Initiationen in allen Lebensaltern. Manche Übergänge sind auch reine Familienangelegenheiten und werden in diesem Rahmen gefeiert.

Das Feiern

Am Ende eines jeden Übergangsrituals steht das Feiern. Ob in der Gemeinschaft, dem Stamm, unter den Gleichgeschlechtlichen oder in der Familie: Das Fest zu Ehren derer, die einen Übergang rituell beschritten haben, ist fester Bestandteil eines solchen Ritus. Gerade weil ein Übergang fast immer mit einer Krise und so auch mit eine schweren Zeit, oft für alle Beteiligten, einher geht, ist das unbeschwerte Feiern wichtig. Man beginnt die neue Zeit mit einem Fest. So soll es sein.

Alleine oder mit Leitung

Sehr viele der kleinen Übergänge des Lebens können alleine durchschritten werden. Wenn ich mein Haus verlasse, über die Türschwelle gehe und unter freien Himmel trete, brauche ich in der Regel :-) keine Begleitung.

Wir nehmen den Begriff Leitung wörtlich und sind in Ritualen als Leiter die Instanz, welche Energien und Botschaften empfängt und weiter leitet. Es ist eine gute Idee, sich in Zeiten großen Übergänge und von Krisen, welche oft auch mit Krankheit verbunden sind, von Ritualleitern begleiten zu lassen.

Oft stehen wir mächtig auf dem Schlauch und können es alleine gar nicht überschauen, mit was wir es zu tun haben und aus welchen Gründen wir in einer Krise stecken. Mit Hilfe einer erfahrenen Begleitung können die Schleier leichter gelüftet, die Heilkraft des Überganges hervor gebracht und die Dauer der Krise verkürzt werden.

Kurzzeitschmerz für Langzeitvergnügen

Das schamanische Ritual führt einen oft tief in den Schmerz hinein, um ihn ganz zu erfassen, zu erkennen, anzuerkennen und ganz zuzulassen. Wir verdichten das Leben und bringen das, um was es wirklich geht, an den Tag. Das Übergangsritual bringt einen oft an Grenzen, die wir im „normalen Leben“ nicht berühren würden. Dort verdrängen wir sie und den dazugehörigen Schmerz und lenken uns oft mit großem Geldeinsatz vom „Wirklichen“ ab.

Der Schmerz wird durch diese Ablenkungsmanöver nicht weniger, er wird verdrängt und kommt immer wieder. Wir suchen immer mehr Ablenkung in zweifelhaften Vergnügungen die auch immer aufwendiger gestaltet werden müssen. Der Kick und damit das Kurzzeitvergnügen muss groß genug sein, um den Langzeitschmerz besser zu ertragen.

Jack Silver
Regenbogenherz-Kolibri